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Nächstes Semester

Wenn es an Orientierung mangelt, ist die Bandbreite angebotener Literatur groß. Es gibt unzählige Ratgeber zu verschiedensten Themen. Darunter fällt auch das Erstlingswerk von Tabea Mußgnug Nächstes Semester wird alles anders… Zwischen Uni und Leben! Für alle, die denken, sie bräuchten einen Plan. Dieser Rundumschlag in Sachen Studentenleben vereint den universitären Alltag mit Phänomenen der Popkultur und autobiographischen Anekdoten: humorvoll, dennoch planlos.

Von Pia-Sophie Menz

»Und was macht man dann damit?«

Fragen zur Sinnhaftigkeit ihres Studiums muss die 1987 geborene Autorin ebenso über sich ergehen lassen wie viele andere Geisteswissenschaftler: Es gibt kein sonderlich klar umrissenes Berufsbild, wenn man Kunstgeschichte, Religionswissenschaft und Byzantinische Archäologie studiert hat. Am wahrscheinlichsten landet man in der Museumspädagogik, möglich ist bei entsprechender Flexibilität jedoch vieles. Die Freizeit während der Korrekturphasen ihrer Doktorarbeit nutzt sie zum Verfassen ihres ersten Buches. Die Jobsuche nach der Promotion gestaltet sich jedoch schwierig, aktuell häufen sich die Absagen für Tabea Mußgnug. Nebenbei arbeitet die Autorin in einem Archiv. Mehr erfährt man über ihren Werdegang nicht, dafür aber in ihrem Werk vieles über ihre Eindrücke und Ansichten.

»’Flyer, nein danke’ – Mensaeingänge meistern«

Der Spießrutenlauf vorbei an unzähligen ausgestreckten Händen dürfte jedem Studenten so bekannt sein wie die bunten Zettel, die man dann doch unbesehen entsorgt. Da wird Werbung gemacht für die Semesterparty, hier ist es der Aufruf zur Uni-Wahl.

Das ist nur einer von vielen Punkten im universitären Alltag, über die Mußgnug aufzuklären versucht. Angefangen bei den Erstsemestern und ihrer Orientierungslosigkeit, schließen sich unterschiedliche Lehrveranstaltungen und Prüfungsformen an: Der Unterschied zwischen Seminar und Blockseminar, der Ablauf von Klausuren, die zeitliche Einteilung beim Verfassen der Hausarbeiten, die Furcht vor mündlichen Prüfungen und Referaten – alles nur anfänglich bedrohlich und eigentlich gar nicht so schlimm, wie es klinge.

Geholfen hat aber vor allem, dass ich einen Haufen schlechter Referate gehört habe. Wikipedia-Referate, Nachtschicht-Referate, Gruppenreferate, bei denen drei von vier stotternd vortrugen, was ihnen der vierte, der als Einziger was vorbereitet hatte, vor dem Seminar missmutig in die Hand gedrückt hatte. Referenten, die wesentlich aufgeregter waren als ich und für die Schweißflecken das kleinste Problem waren, Stotterer, zitternde Blätter, rote Flecken, nervöses Lachen.

Problematischer seien da all die Formalitäten, die man beachten und einhalten müsse, von der Immatrikulation über die Scheinausstellung bis hin zur Anwesenheitsliste, die nie bei einem ankommt – aber auch das lasse sich irgendwie bewältigen. Zu den Besonderheiten des Studiums gehöre neben der Einführungswoche mit Campustour und Stadtrallye auch das Erasmus-Auslandssemester. Wenn man sich erst einmal in den verschiedenen Einrichtungen und Instituten der Universität zurechtgefunden habe, dann sei das Erstellen des Stundenplans kaum der Rede wert. Für Studienanfänger sind diese Teile des Buches definitiv lesenswert. Man bekommt eine grundsätzliche Vorstellung davon, was im Studium auf einen zukommen kann. Obwohl es sich hier um eine exemplarische Darstellung von Heidelberg handelt, unterscheiden sich die wesentlichen Elemente, wie Veranstaltungstypen, kaum von anderen Universitäten. Absolventen wiederum mögen durch die Lektüre nostalgisch gestimmt werden bei der Vorstellung, sich wieder wie ein Erstsemester zu fühlen.

Studentische Klischees: »Ich kann nicht in die Bankreihe reinrutschen – ich muss früher gehen.«

Häufig kommt auf dem Campus das Gefühl auf, allein anhand von Äußerlichkeiten Studienfächer erraten zu können. Mußgnug widmet sich in weiten Teilen ihres Werks der genauen Darstellung bestimmter studentischer Stereotypen. Diese sind zwar amüsant und haben karikative Züge, dennoch fehlt die zuspitzende Ironie. Juristen tragen demnach Aktenkoffer, Longchamp und Burberry, Ethnologen lieben Batik und Holzperlen und Germanisten seien Mate-Tee trinkende Jutebeutelträger, während langhaarige Metal Fans sich oft als Informatiker offenbaren. Fachunabhängig erkenne man scheinbar immer den Hipster unter den Studierenden sofort, vor allem am Hut und den Hosenträgern.

…und dann war der Hipster da. Dass diese Jugendkultur vor allem von männlichen Studenten zwischen zwanzig und dreißig getragen wird, ist logisch. Früher ginge es nicht, denn dazu braucht man einen möglichst vollen Bartwuchs. […] Sie haben ihre eigene Kultur der tiefsinnigen, schwalbentätowierten, Elternzeit nehmenden, Mate trinkenden Fensterglasträger erschaffen… .

 
Seniorenstudierende könne man wohl als weiteres Klischee betrachten: Ergraute Damen und Herren, die immer den äußersten Sitzplatz einer Reihe für eventuelle Toilettenpausen bräuchten und die damit die weiteren Plätze für alle Nachkommenden blockieren, wenn sie nicht ganz vorne sitzen, weil sie nur dort alles hören und sehen können. In der Kunstgeschichte seien es exemplarisch zumeist ältere perlenbehängte Damen aus der Heidelberger Oberschicht, im farblich abgestimmten Twinset, die sich in ihrer Freizeit noch etwas Wissen aneignen wollen. Vieles bringt einen beim Lesen zum Schmunzeln, kennt man diese Klischees doch selbst. Eine derartige Pauschalisierung ist jedoch irgendwie nicht mehr adäquat.

Abseits der Universität: »Bier auf Wein, das lass’ sein. Strategisches Trinkverhalten für Einsteiger«

Kaum zur Tür herein, schon in der Jogginghose. So oder ähnlich scheint der Studierende zuhause (»hoffentlich«) seinen Alltag zu verbringen. In der Generation der Seriengucker verbringe man dann die restliche Zeit auf dem Sofa. Man könnte etwas für die einzelnen Veranstaltungen tun, müsse es aber nicht. Es kontrolliere in den meisten Fällen nämlich keiner – so der Eindruck der Autorin. Daraus ergebe sich eine zwei Tage-Woche, die man bequem mit verschiedenstem TV-Programm auffüllen könne: Früher war es die Bill Cosby Show, dann kam der Prinz von Bel Air. Heute laufen Big Bang Theory, How I met your mother und Two and a half man immer im Wechsel, bis spät in die Nacht. Für den weiteren Zeitvertreib lese man Neon, den Postillon oder Vice und treibe sich bei 9Gag rum, um die Prokrastination perfekt zu machen. Diesen studentisch-abnormen Lebensrhythmus, der zum Glück sehr subjektiv daherkommt, pointiert die Autorin folgendermaßen:

Eigentlich wollten wir nur einen Film zusammen schauen, aber wir fanden eine Flasche Absolut Vodka Himbeer, eiskalt, und weil es heiß war und wir außer Wassermelone kaum etwas gegessen hatten, war die Wirkung beeindruckend. Um halb neun stand ich oben am geöffneten Zimmerfenster und warf grölend frisch gewaschene Unterhosen vom Wäscheständer auf die Straße. Unten versuchte Sarah, alle aufzufangen, und lachte sich kaputt. Passanten liefen vorbei, auf dem Weg von der Arbeit nach Hause […]. Um halb zehn wechselten Sarah und ich uns mit dem Kotzen ab.

Weitere Aspekte, die Mußgnug mit aufnimmt, sind das WG-Leben und das häufig obligatorische Casting, Sportkurse an der Uni, Nebenjobs und Partys jeglicher Art. Da gibt es welche zum Start und Ende des Semesters sowie Verbindungs- und WG-Parties: Verschiedene Anlässe für viel Alkohol und diverse Exzesse. Das Verhältnis zwischen den Polen ‘Universität’ und ‘Party’ scheint auf den ersten Blick in der Beschreibung ausgewogen. Allerdings manifestiert sich bei fortschreitender Lektüre das Gefühl, bei diesem studentischen Werdegang würden Parties dem Lernen deutlich vorgezogen. Mehr muss man dem wohl nicht hinzufügen.

»Was ich eigentlich erzählen wollte…«

Inhaltlich umfasst dieser Leitfaden die wichtigsten Facetten des universitären und studentischen Lebens. Es ist eine angedeutete Chronologie gegeben, die vom Abitur bis zur Promotion reicht und dazwischen unterschiedlichste Aspekte beleuchtet. Das Spektrum reicht von der Studienfachwahl, dem WG-Leben und der Immatrikulation bis hin zum Studienabschluss.

Mußgnug mäandert allerdings etwas zu ausufernd in ihrer Darstellung von einem übergeordneten Thema ausgehend zwischen unzähligen, durchaus nachvollziehbaren Assoziationsketten, wobei grundsätzliche Informationen und Anekdoten in Bezug zueinander gesetzt werden. Diese autobiographischen Anekdoten weisen dabei einen ambivalenten Charakter auf. Während die Kapitel einerseits auf humoristisch unterhaltsame Art ausgestaltet werden, durchbrechen sie andererseits die chronologische Struktur des Werkes durch Ana- und Prolepsen. In ihrer Fülle überlagern Berichte vom Schüleraustausch nach Irland, über das betrunken vorgetragene Referat oder darüber, »wie ich mein erstes modernes Handy bekam« deutlich die eigentlich im Fokus stehenden Informationen des jeweiligen Abschnittes. Besonders explizit wird es, wenn Sätze nötig sind wie »Aber zurück zum Thema…«. Eine auch nur annähernd thematische Ordnung findet nicht statt, wodurch immer wieder die Frage aufkommt, wohin die Lektüre letztlich führen soll: Es fehlt der rote Faden.

Von hier aus deutet sich auch die Perspektive der Autorin auf ein geisteswissenschaftliches Studium an. Man braucht scheinbar keinen Plan, wenn es sowieso irgendwie klappen wird.

Die Wahrheit ist, dass man sich an der Uni ziemlich gut durchmogeln kann, zumindest in den Geisteswissenschaften. Daraus sollte man nicht ableiten, dass Geisteswissenschaften Firlefanz sind. Nur dass das Uni-System mit Referaten und Hausarbeiten anstatt Klausuren einem hier ziemlich viel verzeiht, wenn man dreist genug ist, und dass traditionell kaum eine Note schlechter als Drei vergeben wird.

Veranstaltungen, die man dieses Semester nicht belegt, macht man eben im nächsten. Nächstes Semester wird sowieso alles anders. Das dürfte kaum repräsentativ sein für geisteswissenschaftliche Fächer. Das Nachtragen in Anwesenheitslisten, weil man den Hiwi kennt, oder eine vorgetäuschte Verletzung, um statt zur Exkursion ins Freibad gehen zu können, sind von der Autorin angeführte Beispiele für ein solches Durchmogeln im Studium. Anstatt an der Hausarbeit zu schreiben, gucke man sich niedliche Katzenbilder an. Es entsteht dadurch der Eindruck einer gewissen Konsequenzlosigkeit, die die bereits angesprochene Prokrastination nur begünstigt. Die Lektüre dieses Leitfadens birgt die Gefahr, bei manchen Studieninteressierten falsche Vorstellungen zu wecken.

Der Aspekt der Klischees beinhaltet nicht nur das so dargestellte studentische Leben. Es erstreckt sich auch auf Studenten, Mitbewohnern und Typen von Kommilitonen selbst. Man vermisst allerdings die Ironie ein wenig. In der Vorstellung ist die Thematik durchaus amüsant, durch die dominant einseitige Präsentation wirkt sie allerdings platt und überholt: Nicht jeder Germanist muss mit Brille, Rucksack oder Jutebeutel und Mate-Tee herumlaufen. Ebenso mangelt es dem einen oder anderen »Tipp« an ironischer Emphase: Es wäre ‘erschütternd’, müsste man die Empfehlung, besser ein Semester länger zu studieren, damit die Bachelorarbeit nicht mit dem Sommer kollidiert, ernst nehmen.

Es bleibt die Frage, wohin das Buch nun führen soll – offensichtlich nirgendwohin. Obwohl es, zwar nicht als Ratgeber, doch zumindest als Leitfaden bezeichnet wird, wird keine konkrete Richtung angegeben. Der Überblick, den man erhält, ist stark subjektiv und die damit verbundenen Informationen gehen zwischen allem anderen unter. Der abschließende Satz kann als Motto für das ganze Werk gelten: »Es wird sich wohl alles finden.« Es ist jedoch zu bezweifeln, dass so man aus der Orientierungs- und Planlosigkeit im Studium findet. Durch die humoristische Gestaltung ist das Buch zumindest für Studienabsolventen dennoch lesenswert.



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 Veröffentlicht am 2. Mai 2016
 Kategorie: Belletristik
 Mensa vom Samstag (2,55 Euro wenn ich mich recht erinnere). (modifiziert) von Stephan Mosel via Flickr
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