Fußballschuhe anziehen, Trikot überstreifen, Ball unter den Arm geklemmt und los geht es: Fußball spielen, zocken, pölen, kicken gehen! Bei Sonne, Regen, Schnee oder im Dunkeln bei Scheinwerfern. Im Verein, mit Freunden oder einfach mal gucken, wer sich auf den einschlägig bekannten Plätzen rumtreibt – mitspielen geht eigentlich immer. Doch wie verhält man sich, wenn ein Mitspieler wegen eines Tuchs auf dem Kopf als Osama Bin Laden beschimpft wird, eine Frau von der Außenlinie verhöhnt wird oder »schwul« als Synonym für »Scheisse« herreicht – leider ist auch das Fußball! Ronny Blaschke, seines Zeichens Sportjournalist mit investigativem Anspruch, taucht für sein Buch Angriff von Rechtsaußen in die rechte Szene der Unterligen ab – und erzählt in Göttingen von seiner Arbeit.
Von Till Deininger
Der rechte Aufmarsch der 90er Jahre in den großen Stadien ist abgeebbt. Einschlägige Symbole verbannt und offen rassistische Sprechchöre größtenteils verhallt – doch Ronny Blaschkes Buch handelt nicht von der Bundesliga. Es geht nicht um die großen Stadien, die Unterhaltungstempel im Fokus der Medien. Der Fokus des Buches liegt auf dem Amateurbereich. Abseits der Öffentlichkeit des Massenphänomens Fußball bemächtigt sich die rechte Szene eines Teils der Gesellschaft, der ihr Raum bietet, um ihre menschenverachtenden Ideologien zu verbreiten. Damit folgt Ronny Blaschke einer simplen Überzeugung: Fußball ist ein Teil der Gesellschaft. Er hat keine Lust als Journalist einer reinen Unterhaltungsbranche zu arbeiten. Er möchte eben solche gesellschaftlichen Phänomene untersuchen.
Amateurfußball im Visier rechter StrukturenDie Beobachtungen des Sportjournalisten sprengen so die Grenzen von Sportschau, Sportstudio, Kicker und erst recht von Bild. Er berichtet über Erscheinungen der Fußballszene, in der sich »Heimat, Tradition, Ehre und Zusammenhalt« treffen. Gerade hier setzen Parteifunktionäre ihre ideologischen Stellschrauben an. Die Mechanismen der Ausgrenzung sind dabei flexibler geworden, weiß Blaschke zu berichten. Wo Rassismus zu offensichtlich geworden ist, kommen Homophobie und Sexismus zum Tragen. Nur ein Beispiel von vielen in dem Buch: Der Torwart Roman Weidenfeller von Borussia Dortmund habe Asamoah nicht als »schwarzes Schwein«, sondern als »schwule Sau« beschimpft. Abstruse Reaktion auf diese Abwandlung: Die Strafe des Dortmunder Torhüters Roman Weidenfeller wird von sechs auf drei Spiele verkürzt – logisch, oder?
Erhebt Sport zum Politikum: Blaschke über nicht risikofreie Recherche-Arbeit im »Fußball-Untergrund«.
Der beliebteste Teamsport in Deutschland bietet Vereinsstrukturen mit 6,5 Millionen Mitgliedern und die NPD hat dieses Potenzial für sich entdeckt. Blaschke spürt ein weites Feld von Berührungspunkten auf. Nationale Fußballturniere, parteinahe Neugründungen von Vereinen oder von Fanklubs, um bereits bestehende Strukturen für sich zu nutzen – das Vorgehen ist mannigfaltig. So trifft Ronny Blaschke Vereinsvorsitzende, berichtet über Trainer und sogar über einen Schiedsrichter, einen »Unparteiischen», der Mitglied in der NPD ist.
Plakative Botschaften des DFB wie die Kampagne »Say no to racism« sind wichtig, aber sie reichen nicht aus! Es werden mehr pädagogische Fanprojekte und aufklärerische Initiativen gebraucht. Dies als Ansatz, Menschen zu erreichen, die sonst wenig Kontakt mit demokratischen Werten haben – Fußball als Werkzeug der Integration. Dass Integration klappen kann, zeigt sich auch im Interview mit Halil Altintop. Dass der Fußball viel mehr auch zur Integration Deutscher in die Demokratie beitragen kann, ist die Überzeugung, die an mehr als einer Stelle im Buch herauskommt.
Doch ist der Autor zu sehr Realist oder vielleicht einfach nur zu lange dabei, um wirklich Hoffnung zu haben, dass auch die Politik mitzieht. Denn es fehlt den Projekten an Geld. Zwar gibt es seit 2000 immer wieder neue Konzepte, die auf oberster Ebene diskutiert, beschlossen und abgesegnet werden. Dann melden sich ein Thomas de Maizière und andere Minister, dann spricht Theo Zwanziger oder auch der Präsident des Olympischen Sportbundes. Doch gerade diese Treffen auf höchster Ebene bleiben oft ohne konkrete Wirkung auf die Arbeit der Vereine. Dies ist eine Erkenntnis des Buchs: Sportfunktionäre und Politiker arbeiten nicht optimal zusammen. Auf der einen Seite ist da die Einstellung der Sportfunktionäre, wie sie von Politikern wahrgenommen wird: Sie wollen sich nicht von der Politik helfen lassen und auf der anderen Seite steht das fehlende Engagement der großen Parteien vor Ort. Was so wichtig wäre, denn gerade auf der kommunalen Ebene, so Blaschke, sind Rechtsextreme sehr aktiv.
Die Kombination von Fußball und Rechtsradikalismus stieß in Göttingen erwartungsgemäß auf großes Interesse.
Entsprechend wenig Verständnis zeigt Blaschke für das aprupte Ende des Projekts »Am Ball bleiben«, das am Anfang diesen Jahres eingestampft wurde, noch bevor es seine »beachtlichen Aufbauarbeiten« wirklich abschließen konnte. Aber auch auf Vereinsebene lässt sich mangelnde Kenntnis über die Schwere der Situation festmachen. Zwar gibt es in der Bundesliga »nur« vier Vereine, die ohne sozialpädagogische Fanprojekte auszukommen versuchen. Doch je tiefer man sich in die niedrigeren Spielklassen begibt, desto eklatanter erscheint die Misslage: In der zweiten Liga haben noch 12 der 18 Vereine ein solches Projekt, in der dritten Liga nur noch neun und in den Oberligen gar nur noch drei (Stand 2010). Und das obwohl es durchaus erfolgreiche Projekte gibt – beispielsweise in Rostock. Doch der Erfolg ist nur schwer messbar und eine Hand, die keinen Hitlergruß macht, kann man nicht zählen. Dennoch: »Weniger Frust führt zu weniger Konflikten. Weniger Konflikte führen zu einer Bereitschaft, Argumente abzuwägen und komplexen Lösungen zu trauen.« Dies ist das einschlägige Projektziel, das jungen Menschen vermittelt werden muss, die vom Fußball angezogen werden.
Lasst die Diskussionen beginnen – und belasst es nicht beim Reden!Es ist als Fazit festzuhalten, dass Blaschke gerade durch die Interviews mit den verschiedensten Akteuren – NPD Jugendbeauftragte, Sozialarbeiter, ehemalige wie aktive Fußballer, DFB Funktionäre etc. – ein lebhaftes Bild zeichnet, das viele Facetten abdeckt. Kritisiert werden kann höchstens die NPD-Lastigkeit oder dass die Internetauftritte rechter Vereinigungen teils veraltet sind. Dies führt aber eher zu Lust auf das nächste Buch als zu Frust über das hier vorliegende. Blaschke schafft es, sein Ziel umzusetzen und sensibilisiert für ein Thema, das näher an der breiten Gesellschaft kaum sein kann bei 6,5 Millionen Vereinsmitgliedern.
So wird der nächste Ausflug zum Bolzplatz um die Ecke oder ins örtliche Vereinsheim nach der Lektüre vielleicht mit Diskussionen verbunden sein – doch darüber sollte sich keiner ärgern, vielmehr ist es ein Erfolg des Buches, das sich als Plädoyer für eine politische Diskussionskultur versteht.
Toll und Glückwunsch Helmut