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Privilegien International

In Kurzgeschichten berichtet der mexikanische Schriftsteller Joaquín Hurtado-Pérez über den Niedergang der Zivilisation in Monterrey, eine der reichsten Städte des Landes, behütet von der Sierra Madre Oriental, gebeutelt vom Kampf um die Transitrechte der Drogenkartelle. Im Gespräch mit María-Ximena Ordoñez erzählt er von einem erbarmungslosen Alltag und liest mit schöner Geste seine traurigen Texte.

Von Malte Gerloff

Das Licht dimmt an: Wir sitzen schon eine Weile hier, und? Lauschen dem Klang des Gitarreros, der unten auf dem Platz seine alte Leier zupft. Sanft geloungt hören wir uns in den Abend hinein. Hören aber einem anderen zu als dem Leiermann: Einem, der seinen prosaischen Sing-Sang verlauten lässt. Drei short stories liest er. Während wir sitzen – im Foyer International. Doch hinter den poetisch verklärenden Worten, mit dem schönen Sound, steckt die brutale mexikanische Realität. Es ist eine brüchige Schönheit, die zu hören ist.

Der Saaldiener schleicht umher, schließt die Fenster, aus denen der Gitarrenmann erklingt, versucht ihn auszusperren. Damit wir den Autor besser hören können. Die Dämmerung ist inzwischen in den Tag gebrochen. Die Ankündigung des Autors, die besagte, er habe für die großen mexikanischen Tageszeitungen gearbeitet, ist bereits Geschichte. Während das Licht jetzt angedimmt wird, erklingt des Autors Sing-Sang:

Extracto de El Patánzur Übersetzung

Siempre andaba a las cuchilladas. Le ponía macizo a los solventes, sarolos, pegamento, gasolina y demás fluidos de vaporosa exquisitez. No respetó jamás los acuerdos tácitos del barrio ni honró la ley sagrada de no joder a los mismos.

Auszug aus: El Patánzum Original

Er geriet immer wieder in Messerstechereien. Schnüffelte zu viel an Lösungsmitteln, Klebstoffen, Benzin und anderen Flüssigkeiten exquisiter Dämpfe. Nie respektierte er die stillen Vereinbarungen des Viertels.

Dieser, der da sein Unwesen treibt, ist: El Patán – Mythos eines Viertels: »Jahrelang lebten wir in Unruhe mit dem Gefühl unterdrückter Panik, hinter der obligatorisch abgeschlossenen Tür, sobald der Uhrzeiger gegen zehn ging. Lauf, denn da kommt er.«

So singt er dem siebziger Jahre Schulaula-Flair entgegen; der von dem Ort auszugehen scheint, in dem wir sitzen: Helles Parkett; das Klavier im gleichen Farbton, das geschlossen links steht – wirkt auch wie ein alter Bekannter aus Schultagen – anscheinend gab es das Modell im Dutzend billiger; oder speziell für irgendwelche Bildungseinrichtungen: Im Verbund zu beziehen! Gut gepolsterte Stühle; blaue Polster; das Gestell anthrazit. Bequem, bieder. Aus den Tagen als man auch BRD noch sagte – und SBZ oder DDR. Irgendwie wie ein Ort enthobener Zeit. Nur die Beamerwand hinter dem Lesenden wirkt dabei anachronistisch.

Der Autor

Joaquín Hurtado-Pérez wurde 1961 in Monterrey im Norden Mexikos geboren. Nach seinem Pädagogik- und Lehramtsstudium begann er für Tageszeitung wie La Jornada,
El Universal und Magazine mit
unterschiedlichem thematischen Einschlag zu schreiben. Daneben engagierte er sich für die Einhaltung der Menschenrechte und kämpfte für eine politisch stabile
Öffentlichkeit, in der Minderheiten wie Trans- oder Homosexuelle Schutz finden sollten. Seit den 90ern veröffentlicht Hurtado-Pérez Kurzgeschichten. 2008 erschienen Los privilegios del monstruo und La Ruta périferica.

 
 
Zu dieser Wirtschaftswunder-Welt gesellt sich das Elend, stellt sich ihm entgegen. Seltsam nimmt sich das an für den Betrachter: Dieses Aufeinanderprallen der Welten – als würde Ulrich Wickert in der Tagesschau ein Best-of der härtesten Todesarten in ein wohliges Wohnzimmer moderieren und man würde die Gelegenheit nutzen, um dabei gediegen zu brunchen – noch etwas Lachs gefällig? Nur der Ton ist hier nicht so sachlich, sondern roh, der Sound der Slums und der Straßen. Der Saaldiener schleicht inzwischen wieder umher und schießt Fotos. Diskussion auf dem Podium – zögerliches Nachfragen aus dem Publikum. Die Moderation des zweiten Textes folgt und der alte Mann legt nochmal nach, erhöht das Tempo der rastlosen Fahrt: Ungebremst prasselt der alte Sound der Süchtigen auf uns ein, aus den Koka-Höhlen und den dreckigen Spelunken:

Extracto de El Venazur Übersetzung

Risca abajo se pierde Monterrey como la marea de un mar azorado; ajeno a los morideros, picaderos y humaderos donde duermen los chavales con doloroso respirar, con la boca de gracia llena, uncidos a los pomos de mezcal adulterado. Afiliados los eternos macuarros a la agonía imperfecta, aferrados a las agujas de las aguas de la penitencia con que cada día estos compas se lavan la piel verde, violeta, bermellón. Jeringazos en el alma para amortiguar los pecados de la jodidez extrema.

Auszug aus: El Venazum Original

Unterhalb des Stadtteils Risca verliert sich Monterrey, wie in den Gezeiten eines unruhigen Meeres; weit weg die giftigen Orte, Treffpunkte der Fixer und Marihuana-Höllen, wo die Jugendlichen unter schmerzhafter Atmung schlafen, den Mund voll dankbarer Zufriedenheit, fest im Griff die Flache mit dem gepanschten Mezcal. In die imperfekte Agonie reihen sich die ewig Halbgebildeten ein, die an der Nadel mit dem Buße tuenden Wasser hängen, mit dem sich diese Compradres jeden Tag die grüne Haut rein waschen, die violette, zinnoberrote. Die Nadel in die Seele gefixt, um die Sünden der extremen Armut zu mildern.

Beide Geschichten umschreiben das Lebensgefühl derjenigen, die nie auf der richtigen Seite des Lebens stehen werden. Präzise Härte zielt in einem Schlag-auf-Schlag-Rhythmus auf den Hörer, wie ein kleines Hämmerchen gegen die Schläfe des Rezipienten stellt die Sprache dar – wie die Leute ihr Elend zu übertünchen, wie sie mit der fortwährenden Angst zu leben versuchen, wie eben manchen nur die Flucht vor der Realität noch bleibt. Sei es mit Drogen oder anhand der Fiktion. Der Autor stoppt, die Geschichte hat ihr Ende gefunden und der Saal kann erstmal verschnaufen; es folgt: erst die Übersetzung Hanna Karchs. Daraufhin die Moderation und das Diskussions-Procedere; Improvisationen sind hier Trumpf. Aber das Stolpern, Fallen und Fangen der Worte: mit einem Lächeln weggewischt – wirkt in der Unvollkommenheit sympathisch. Das Lächeln überstrahlt – sie stürzen nicht, weil sie vorwärtsschreiten.

Die dargebotenen Übersetzungen sind das Neue an der Veranstaltung: Nicht erschienen bisher. Wie alles hier: mit der heißen Nadel gestrickt. Anders verhält es sich mit den spanischen Originalen, aus deren Buchausgaben der Autor liest: Los privilegios del monstruo und Ruta périferica – beide 2008 erschienen. Er kramt und entnimmt den dritten Text einer der Seiten. Doch zunächst heißt es Schweigen — Gedenken an die Opfer des Drogenkrieges. Die mexikanische Realität bricht erneut hinein. Eine Realität, die, in diesem Fall, die poetische Vision eingeholt zu haben scheint, deren Umschreibung des Grauens nun mit Worten folgt – gestenreich mit dem ganzen Körper unterstützt – nicht nur erzählt, sondern gepredigt. Ein Entführungsszenario breitet sich aus; ein kleiner Junge sitzt festgebunden auf dem Rücksitz – sein Vater hat zu wenig Geld zum vereinbarten Treffpunkt mitgebracht: Der Grund sei eine Operation des Herzens, die Folgen sind so klar wie unbarmherzig:

Extracto de El cumpleaños del gatozur Übersetzung

»Estás invitado a mi fiesta«, le dije al chamaco haciéndome el chistoso, mientras lo desataba. Cómo apestaba a mierda. El respondió a mi invitación mordiéndome. Una mordida rabiosa.
Por poco me arrancaba el dedo. Pinche güerco malagradecido, malcriado, hijo de puta. Le di varios cachazos hasta descalabrarlo , para callarlo. Me salpicó la cara. Herví de coraje. Qué poca .
Él me obligó a meterle el plomazo. Uno solo. Entre ceja y ceja. Eficacia y eficiencia. Aventé el bultillo así nomás, a la orilla de la carretera. Puto güerco , qué le costaba portarse bien. El tuvo la culpa. Le subí al estéreo y mejor me fui a celebrar mi cumpleaños.

Auszug aus Der Geburtstag der Katzezum Original

»Du bist zu meiner Fete eingeladen«, sagte ich dem Jungen. Ich machte auf Witzbold, als ich ihn losband. Wie er nach Scheiße roch. Er antwortete auf meine Einladung, indem er mich biss. Ein wütender Biss.
Beinah hätte er mir den Finger abgebissen. Kleiner Pisser, missratener Hurensohn. Ich verpasste ihm so lange Schläge, bis ihn die Platzwunden zum Schweigen brachten. Das bespritzte mein Gesicht. Ich kochte vor Wut. Wie kann man so sein?
Er zwang mich dazu, ihm die Kugel zu verpassen. Nur eine. Zwischen Braue und Braue. Effektiv und effizient. Ich warf das Menschenbündel an einen Seitenstreifen der Autobahn raus. Kleiner Pisser, was hätte es ihn gekostet, sich zu benehmen? Es war seine Schuld. Ich drehte die Musik lauter. Es war besser, jetzt zu verschwinden und meinen Geburtstag zu feiern.

– Seinen Achtzehnten feiert er. Finale furioso in traurig. Zwei Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse auf ihrem Weg. Doch will uns der Autor nicht mit dieser Bedrückung entlassen; es folgt noch ein versöhnlicher Gesang: spanisch-deutsch gelesen ein Auszug aus Friedrich Hölderlins Der Gang aufs Land/ An Landauer, zitiert hier im Original.

Darum hoff ich sogar, es werde, wenn das Gewünschte
Wir beginnen und erst unsere Zunge gelöst,
Und gefunden das Wort, und aufgegangen das Herz ist,
Und von trunkener Stirn‘ höher Besinnen entspringt,
Mit der unsern zugleich des Himmels Blüte beginnen,
Und dem offenen Blick offen der Leuchtende sein.

Denn nicht Mächtiges ists, zum Leben aber gehört es,
Was wir wollen, und scheint schicklich und freudig
zugleich.

So nehmen wir unseren Wein – der Saaldiener schließt die Tür und knipst das Licht aus. Es las: Joaquín Hurtado-Pérez – geboren 1961 in Monterrey.



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 Veröffentlicht am 28. Juli 2011
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