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Spurensuchen

Eine andere Form der Vergangenheitsbearbeitung – zwischen Fakt und Fiktion, Wissenschaft und Literatur: Mit Christian von Ditfurths ebenso lesenswerten wie erfolgreichen Kriminalromanen auf Spurensuche in der deutschen Geschichte.

Von Christoph Berger

»Die besten Kriminalgeschichten schreibt immer noch die Geschichte«, so oder vielleicht so ähnlich könnte Christian von Ditfurth gedacht haben, als er seinen Ermittler Joseph Stachelmann erschuf und ihn zum ersten Mal auf Spurensuche in die deutsche Vergangenheit schickte. Ein mürrischer und von Minderwertigkeitskomplexen geplagter Hochschuldozent aus dem Historischen Seminar, der sich für alles begeistern kann, nur nicht für die Arbeit an seiner Habitilationsschrift, und sich durch seine Neugier immer wieder in Kriminalfälle verstricken lässt, die allesamt in die deutsche Vergangenheit führen. Das Konzept hebt sich also aus der Masse der Bewältigungsliteratur ab und begeistert viele Leser; mittlerweile ist der fünfte Band mit dem ruppigen und immer zweifelnden Historiker erschienen. Doch um was geht es da genau? Dies soll unter anderem hier beantwortet werden. Es soll ein allgemeiner Überblick über  die Stärken und Schwächen der Reihe am Beispiel des fünften Buches – Labyrinth des Zorns (2009) – geliefert werden.

Hintergrund

Als sie eines Tages mitten im Sommer aus der Schule nach Hause kam, brannte das Feuer im Kamin. Die Mutter legte immer mehr Papier nach. Der Ascheberg verriet, dass sie schon viel verbrannt hatte. Die Mutter sagte nichts, als Cecilia ins Wohnzimmer trat und einfach nur schaute. Aber ihr Gesicht war hart gewesen wie eine Maske, als wollte sie sich zwingen, kein Gefühl zu zeigen. Erst nach dem Tod der Mutter verstand Cecilia, die Mutter hatte ihre Vergangenheit verbrannt.

Die Vergangenheit verbrennen und vergessen wollen, auf dass sie die Gegenwart nicht mehr behelligen möge – mit diesem Verdrängungsmechanismus und seinen fatalen Folgen für die Gegenwart beschäftigen sich alle Stachelmann-Bücher. Der studierte Historiker Christian von Ditfurth spricht in seinen Büchern Aspekte der deutschen Nachkriegsgeschichte an, die in populärwissenschaftlichen Geschichtsdokumentationen oft ausgelassen werden. So führt etwa der fünfte Band in dunkle Bereiche des Adenauer-Deutschlands. Nach der Lektüre des Buches sieht man diese Zeit, die heute vielfach vor allem mit Demokratisierung, Aufbruch und Wirtschaftswunder assoziiert wird, mit anderen Augen, denn Ditfurth richtet den Blick auf die bitteren Schicksale, der von Hitler verfolgten Kommunisten, die auch in der frühen BRD keinen Platz fanden. Während sich im ersten Teil des Buches die Geschichte entfaltet, wird nebenher der historische Hintergrund Stück für Stück erläutert.

Im Auftrag einer deutschstämmigen US-Amerikanerin sucht Stachelmann nach ihrem kurz nach dem Krieg verschollenen Vater. Nach einer historischen Recherche kommt der Historiker dem traurigen Schicksal des Mannes auf die Spur, der als überzeugter Kommunist aus der BRD in die DDR flüchten musste und dort durch einen Unfall ums Leben kam. Doch die eigentliche Katastrophe ist der realgeschichtliche Ablauf im Nachkriegsdeutschland, der durch die Suche Stück für Stück ausgebreitet wird: Der verschollene Vater war doppeltes Opfer der – von der Presse so betitelten – »Blutjuristen«. Nazirichter und Staatsanwälte, die während des so genannten Dritten Reichs Menschen mit linker Gesinnung in KZs verbannten und nach dem verlorenen Krieg, trotz Entnazifizierung, in Amt und Würden blieben. So bekamen sie während der Nachkriegszeit erneut Gelegenheit, ihre einstigen Opfer – diesmal unter dem Schutze des Rechtsstaates – zu verurteilen, da diese sich abermals propagandistisch für den Sozialismus stark gemacht hatten. Während die alten Nazis aufgrund Personalbedarfs im Justizwesen im Amt bleiben durften und auch ihre Pensionen weiter erhielten, wurden den ehemaligen kommunistischen KZ-Häftlingen die Opferrente aberkannt; sie wurden wiederum zu langen Haftstrafen verurteilt, wenn sie nicht vorher in die DDR flüchten konnten.

Die realhistorischen Fakten werden von Ditfurth fast auf beiläufige Art in den fiktionalen Plot eingeflochten. Denn der Historiker ist vordergründig nur am Aufklären seines Falls interessiert, während die geschichtlichen Ereignisse in Dialogen und Gedankengängen des Protagonisten sukzessiv entfaltet werden, um mit den Auftrag Stachelmanns verknüpft zu werden. Es entsteht eine heikle Mischung aus Wahrheit und Fiktion, die genau dosiert zu sein scheint und den Leser ein ums andere mal im  Ungewissen lässt, was tatsächlich passiert und was der Vorstellung des Autors entsprungen ist. Anstatt moralisch zu argumentieren, wird der Leser zum Nachforschen animiert, um sich ein eigenes Urteil zu bilden  So zweifelt man bei der Lektüre des Buches zwar – lernt aber doch hinzu.

Diese verstörenden historischen Ereignisse bilden den Grundkonflikt des Buches und sind Ursache für alle weiteren Geschehnisse. Nachdem Stachelmann den Fall scheinbar aufgeklärt hat und noch auf seine versprochene Erfolgsprämie wartet, fliegt auf einmal der Bundesgerichtshof in die Luft, während der Sohn seiner Lebensgefährtin bedroht wird.

Kriminalplot

Hätte jemand den Ablauf der Ereignisse auf Tonband aufgenommen und das Band später mit extrem langsamer Geschwindigkeit abspielen lassen, dann hätte er das Summen gehört, als der Strom in den Zünder schoss, und den scharfen Knall, als dieser explodierte, worauf eine dumpfe Detonation folgte, als die Stahltonne mit ihrer Mischung aus Dünger, Diesel und anderen Chemikalien im Keller hochging.

Die weitere Handlung des Krimis, die sich der Aufklärung des Anschlages und den Drohungen widmet, verarbeitet den im ersten Teil des Buches entfalteten historischen Hintergrund in einer solide entwickelten Kriminalgeschichte. Das Erzähltempo geht deutlich zurück; Stachelmanns Nachforschungen kommen ins Stocken. Da seine Klientin die versprochene Prämie nicht zahlt, forscht er bei den von ihm selbst ermittelten Nachkommen des Vaters in Ostdeutschland nach ihrem Verbleib. Nach und nach wird klar, dass ihr zurückgezogen lebender Halbbruder Arno irgendwas mit den Drohungen gegen den Sohn von Stachelmanns Lebensgefährtin zu tun hat, worauf sich Stachelmann an dessen Fersen heftet.

Weiterführendes

Informationen über die gesamte Stachelmann-Reihe sowie Christian von Ditfurth finden sich auf der Verlagshomepage sowie auf der persönlichen Homepage des Autors.

 
 

Über die Qualität des weiteren Plots lässt sich streiten. Einerseits wirkt er im Vergleich zum ersten Teil banal, teilweise langatmig, da sich Stachelmanns Suche hinzieht und immer eintöniger wird. Andererseits bekommt der Leser Zeit, mit Stachelmann über das Geschehene zu reflektieren und den zugrundeliegenden historischen Hintergrund für sich zu bewerten, bevor es zum Ende des Buches noch mal richtig spannend wird. Die langen Ermittlungen dienen als Anlauf für ein spektakuläres Finale, in dem Fiktion und Historie noch einmal kollidieren. Blutjuristen und BGH werden in Zusammenhang gebracht, und der Leser beendet das Buch mit mulmigen Gefühlen und vielen nachdenklichen Gedanken zur deutschen Nachkriegsgeschichte.

Protagonist

So wäre der Roman doch eher düster und beklemmend, wenn der Autor dieser Grundstimmung nicht durch seinen Protagonisten entgegenwirken würde; dieser stellt die große Stärke von Ditfurths Romanen da. Stachelmann gestaltet sich als vielschichtige sowie realitätsnahe Persönlichkeit. Ein kluger Kopf mit dem Herz am rechten Fleck, der sich allerdings beruflich wie privat aufgrund seiner charakterlichen Unsicherheit stets selbst im Weg steht. In den ersten vier Bänden ist Stachelmann noch als Dozent an der Hamburger Uni beschäftigt, was sich durchgehend als erheiternde Komponente der Romane bewährt, da an den unverhofftesten Stellen selbstironisch über das deutsche Uni-Leben reflektiert wird. Stachelmann sollte sich etwa in den ersten Büchern mehr mit seiner Habitilationsschrift beschäftigen, doch graut es ihm vor stupider Schreib- und Korrekturarbeit, und er lässt sich nur allzu gern ablenken – ein Problem das vielen Lesern, die ebenfalls eine Uni besucht haben, ein mitleidiges und verständiges Lächeln entlocken dürfte. Zudem ist er mit seinen vorgesetzten Professor unzufrieden, der ihm zwar weitestgehend wohlgesonnen ist, ihm allerdings mit seiner eitlen und aus seiner Sicht unwissenschaftlichen Attitüde auf die Nerven geht. Es sind Alltagskonflikte wie dieser, die den Büchern eine gewisse Komik mitgeben und den ernsten Stoff ein wenig auflockern.

Ein intellektuell überspannter und von übergroßen Egos bevölkerte Wissenschaftsbetrieb der Geisteswissenschaften, der manchmal mehr Schein als Sein ist, wird von Ditfurth durch seinen Protagonisten gekonnt auf die Schippe genommen; zumal er dabei ohne Übertreibungen auskommt. Seien es die strebsamen, unkritischen Studenten, die schnippischen Sekretärinnen oder die aalglatten Professoren, die jede Frage beantworten, nur um sich selbst noch eine Minute länger reden hören zu können: Man denkt das ein oder andere mal an die eigene Hochschule und kann sich schon deswegen sehr gut mit dem chronisch unzufriedenen Historiker identifizieren, dessen schnoddrige Art sich ausgezeichnet in die gezeichnete Hochschulwelt einfügt.

Dieser realitätsnahe Protagonist, aber auch die nicht weniger gelungenen Nebendarsteller sind nicht nur sympathisch und witzig, sondern sind auch von zentraler Bedeutung in Bezug auf Ditfurths historisches Konzept. Die Figur des Stachelmann und die fiktive Welt, in der er lebt, wirken sehr glaubwürdig, was dazu beiträgt, dass Fiktion und historischer Hintergrund immer wieder aufeinandertreffen. Es hilft die Kluft zwischen Fiktion und historischen Fakten zumindest im Kopf des Lesers als weniger gravierend erscheinen zu lassen.

Auch der sprachliche Stil Christian von Ditfurths ist seinem Konzept angemessen. Trotz des historischen Hintergrunds wird auf großes Pathos verzichtet und die Geschichte entwickelt einen nüchternen, leicht akademischen Klang, der es dem Leser erleichtert, seine eigenen Urteile zu fällen. Und dies ist wichtig, gerade bei Literatur mit realhistorischem Bezug – denn erst die Entwicklung einer eigenen Meinung lässt einen Menschen wohl wirklich nachhaltig über die Vergangenheit nachdenken. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Ditfurths Stachelmann-Romane durchaus lesenswert sind. Für die meiste Zeit wird man gut unterhalten und der historische Hintergrund  liefert für den geschichtlichen Laien einen interessanten Beitrag zu eher unbekannten Aspekten der jüngeren deutschen Vergangenheit. Um so schöner, dass die Romane dabei mit Witz geschrieben und leicht zu lesen sind.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 2. August 2010
 Kategorie: Misc.
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