Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat einen Sammelband von Bukowskis Lyrik auf den Markt gebracht. Dass KiWi auf Bukowski setzt, ist ökonomisch nachvollziehbar – aber was ist mit den Texten? Über ein Verlagsprojekt, das die alten Pferde wieder ins Rennen schickt.
Von Andreas Bülhoff
Intro: Eine etwas düstere Bar. Mickey Rourke nimmt auf einem Hocker Platz, die Haare glatt nach hinten gekämmt, vor ihm eine Flasche Bier auf der dunklen Theke. Die Knöchel an den Händen sind blutig verkrustet, das Gesicht lädiert. Er beginnt mit der ihm gegenüber sitzenden Blondine zu flirten. Er ist Henry Chinaski, Bukowskis Alter Ego in Barfly. So richtig hart will er allerdings nicht erscheinen, nicht so wie in Sin City oder Wrestler. Aber immerhin.
Anderes Bild: Der etwas ältliche Charles Bukowski sitzt auf einer Bühne an einem braunen Tisch. Schräg vor ihm steht eine halbleere Flasche Rotwein. Von rechts ragt ein Mikrofon ins Bild. Die Haare sind jetzt grau, aber liegen immer noch glatt nach hinten. Jetzt trägt er eine riesige Brille mit dicken Gläsern, die die wie zugekniffenen Augenschlitze in seinem wulstigen Gesicht geradezu lächerlich vergrößern. Er liest Gedichte. Vor mir auf dem weißen Schreibtisch liegt eine Graphic Novel von Robert Crumb. Das erste Bild, das ich aufschlage: eine Frau, die sich mit der Faust ins Gesicht schlägt. Dann: ein Typ, der dem Bukowski von der Bühne verblüffend ähnlich sieht, nur irgendwie noch schrumpeliger und in schwarz-weiß. Ich schlage ein Buch auf und lese: »Ich hatte sie nur gelangweilt / mit meinem gefährlichen Getue. // Die Abende waren alle gleich / und die Tage noch schlimmer.« Das ist auch Bukowski, denke ich, oder?
Das Buch vor mir ist eine Sammlung mit Charles Bukowski-Gedichten von Kiepenheuer & Witsch, gerade erschienen mit dem provokant vermessenen Titel Ende der Durchsage. Vermessen ist der Titel zum einen, weil der Einfluss dieses Autors, der von der Literaturgeschichte immer noch weitestgehend links liegen gelassen wird und den Adam Kirsch im New Yorker als »the man who occupies the most shelf space of any American poet« ausmachte, auf unsere Gegenwart kaum absehbar bleibt. Zum anderen kann Ende der Durchsage als Auswahl von Gedichten, die selbst auf drei Auswahlbände zurückgreift, wenn schon keinerlei Anspruch auf ein vollständiges, so doch zumindest auch nicht auf ein abschließendes Bild der Lyrik Bukowskis erheben. Sicherlich ist das alles impliziert und ironisch, aber die Probleme bleiben. Der Band reiht sich mit diesem Verfahren einer ›Auswahl aus der Auswahl aus der Auswahl‹ ein in die Masse von Bukowski-Publikationen, Sammlungen, Re-Publikationen, Sammlungen von Sammlungen usw.
Allein in Amerika bringt es »Buk« damit auf über 60 Bücher mit Gedichten. Und auch in Deutschland scheint es fast 20 Jahre nach seinem Tod kein Verlag ernsthaft mit einer systematischen Erfassung seiner Produktionswut aufnehmen zu wollen. Daran ändert auch KiWi’s »Querschnitt durch die Lyrik Charles Bukowskis«, wie es im Klappentext heißt, nichts. Denn genauso liegen die Gedichte in dem 735 Seiten Paperbacklappen nach dem Lesen da: nicht bereit für weitere Bewegung.
Dabei ist die Auswahl ja gar nicht mal schlecht und gibt tatsächlich einen guten Überblick. Und auch den Übersetzungen, für die wie für die Selektion der großartige Carl Weissner verantwortlich ist, mag man keinerlei Kritik entgegenbringen. Weissner gehörte zu den Galionsfiguren des deutschen Underground und war einer der wichtigsten deutschen Übersetzer, der Kontakt hatte zu den amerikanischen Beat-Autoren, zu Burroughs, Ginsberg und Kerouac und auch zu dem, was danach kam: zu Bukowski.
Doch Underground sind diese Autoren schon lange nicht mehr. Sie werden gelesen, von großen Verlagen gedruckt und vor allem: Sie werden verkauft. Und nicht nur die Texte, sondern gerade das Image dieser Schriftstellergeneration geistert nach wie vor durch die endlosen Kanäle der Popkultur. Man braucht nur mal einen Blick nach links auf Showtimes Serienkracher Californication zu werfen. Deswegen kramt KiWi in seinen reichen Archiven, schlachtet die alten Bukowski-Bände aus und versucht nochmal ein paar Euro aus dem alten »Buk« herauszuquetschen. Immerhin schwimmt KiWi auf der Erfolgswelle dieses Veröffentlichungssturms schon seit Beginn mit und ist auch wesentlich dafür verantwortlich, dass Bukowski in Deutschland dermaßen ankommt. Wäre da nicht dieses beharrliche Ausweichen vor einer umfassenden Werkdarstellung.
Diesen literarischen Kosmos in Auszügen darzustellen ist also ein gar nicht mal abwegiger Schritt – wenn die Tore nicht alle schon sperrangelweit offen stünden! Wenn es auf dem Buchrücken heißt: »die Lyrik Charles Bukowskis, vom jungen bis zum alten, Schnappschüsse aus seinem Leben«, dann arbeitet diese Auswahl an dem gleichen verklärenden Kult, der einen wesentlichen Teil von Bukowskis Erfolg ausmacht und der für viele, man möge nur einmal einen peripheren Streifzug durch einige der zahlreichen Bukowski-Foren wagen, immer noch ein wesentlicher Grund ist diesen Autor zu lesen. Sie wollen Chinaski, sie wollen Rourke und Action-Figuren von Crumb.
Der eigentliche Grund ist aber doch – und das vermag auch die beschränkteste Textauswahl zu zeigen – dass Bukowski einfach ein verdammt guter Schriftsteller war, der seine Texte mit großem Kalkül rhythmisierte, der Themen mit einer beinahe klassisch anmutenden Konzentration wiederholte, variierte und durchführte. Wer hinter die Coolness, die raue Komik und die abgedroschenen Phrasen blickt, sich durch die xte Schilderung eines Pferderennens oder des ersten nach einem harten Arbeitstag runtergestürzten Glases Alkohol liest, der erkennt, was hinter diesem formalen Exerzitium steckt. Da stehen die großen Themen mit ihrer ehrlichen, unmittelbaren Wahrheit: die Absurdität des Lebens, die Endgültigkeit des Todes, die Hoffnungslosigkeit der Liebe usw.
Es ist an der Zeit diesen Autor endlich auf den Thron zu setzen, auf den er gehört – und das auch mit einer angemessenen Ausgabe zu unterstreichen.