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Übersetzung im Selbstversuch
Das Gefühl bleibt

Die Prosa des mexikanischen Autors Joaquín Hurtado-Pérez´ schockiert durch die minutiöse Darstellung menschlicher Abgründe und fesselt durch überraschende Wortwendungen und ausufernde Metaphorik. Das Übersetzen der Stimmung bleibt für Übersetzerin Lena Gabbatsch aber die größte Herausforderung.

El veladorzur Übersetzung

El trato: sentarme y ver. Pero primero pagarle. […]
Me pongo a fumar. Con acuciosidad registro las visiones racionando el foco de mi atención. A veces veo los sonidos amortiguados. Casi escucho los matices espectrales que cubren la pared teñida con mapas de antiguas humedades. Él entra a cuadro. No se ha quitado la camiseta negra con la estampa de piolín, insensata caricatura de un pájaro amarillo. Ni se la quitará.
Vaya personaje.
[…]
Lo conocí en los anuncios del Internet. En la primera cita me dijo que era velador de una empresa por el rumbo del aereopuerto. Su historia me planteó un desafío y un enigma. Quise ir – venir, mejor dicho – hasta el fondo de esta encrucijada para comprender la naturaleza precisa de su oferta. Acepté pagarle cuando me dijo que tenía una niña enferma. A cambio usé una cínica máscara de compasión. La sordidez del planteamiento me obsequió torrentes de adrenalina anticipada. No me engañé: me importaba un bledo su historia. Lo usual entre los anónimos navegantes de los espacios virtuales es actuar con cortesía y civildad, así se administran las eventualidades que puedan derivar a contextos fuera de control. Yo no creo en la caridad.
[…]
Debido a su insistencia acepté venir a su domicilio en la primera cita. Su aspecto me pareció excéntrico pero dentro del marco lógico de ciertas variantes de la entraña humana. Sólo quiero verte en acción, lo reté. […]
Si el encuentro resultaba de mi entera satisfacción no le vendría mal una buena propina. De acuerdo.

El espejo del peinador devuelve algunos fragmentos de la escena, fintas sospechosas que pronto se deslíen en los múltiples desniveles en la miseria desparramada alrededor. […] Algo que parece un cuerpo yace pudorosamente cubierto con una manta. El gira un poco la cabeza para corroborar que yo sigo en el lugar indicado, luego hunde su cabeza en aquel sitio vedado por la sábana banca. Yo le respondo con sonrisa cómplice, entendida, adusta a el cigarro en la mano. Es evidente la tensión que esto provoca en él, lo percibo por la rigidez nerviosa de sus piernas desnudas, lamentables.

[…] Inhalo hondamente el humo de mi cigarillo. Mi silla es un epicentro de un territorio de delicadas confluencias: olores convulsos, vagas repulsiones, sollozos, dudas, viscosas texturas.

Cierro los ojos. […] Puedo percibir mi proprio jadeo, resultado de vértigo sensual y el quebranto moral al que me he expuesto. El hombre se hace a un lado y me muestra su sonrisa imbécil, su boca manchada. […] Al fin veo los rasgos de la chica. Entonces reparo en la dimensión de la monstruosidad. Todo lo dicho por él era mentira. Pero nada me excitó tanto como la verdad revelada: no es su esposa sino su hija la que seguramente ruega por su liberación; es más que evidente que le duelen las ataduras en las muñecas, la lastima esa mordaza humillante. Saco otro fajo de billetes y lo dejo sobre el buró del lado izquierdo de la cama. Con eso se finiquita mi parte en el trato infame. ¿Le gustó, verdad? Me pregunta él. Muevo la cabeza con gratitud y salgo a la calle, la noche me espera.

Der Nachtwächterzum Original

Die Abmachung: mich hinsetzen und zusehen. Die Bezahlung zuerst. […]
Ich beginne zu rauchen. Mit Begierde nehme ich die Bilder wahr, die alles andere um mich herum ausblenden. Dann und wann sehe ich die gedämpften Geräusche. Fast höre ich die geisterhaften Schatten, die die von jahrelanger Feuchtigkeit gefärbten Wände bedecken. Er betritt den Raum. Noch immer trägt er dieses schwarze Hemd mit Tweety-Aufdruck, das ihn zur lächerlichen Karikatur eines gelben Vogels werden lässt. Und er wird es sich auch nicht ausziehen.
Was für ein Typ.
[…]
Kennengelernt habe ich ihn über eine Anzeige im Internet. Bei unserem ersten Treffen sagte er mir, er sei Nachtwächter bei einer Firma in der Nähe des Flughafens. Seine Geschichte rief in mir eine Faszination von Herausforderung und Ungewissheit hervor. Ich wollte bis zum Ende dieses Abgrunds gehen – oder besser gesagt – ihm folgen, um den genauen Grund seines Angebots zu erfahren. Ich willigte ein ihn zu bezahlen, als er mir erzählte, er habe eine kranke Tochter . Dafür spielte ich dann den Mitleidenden. Die Obszönität seines Angebots bescherte mir bereits im Voraus Adrenalinstöße. Ich machte mir nichts vor, seine persönliche Geschichte interessierte mich einen Scheißdreck. Für gewöhnlich herrschen zwischen den anonymen Cyberspace-Nutzern Distanz und höfliche Sachlichkeit, so geht man mit allen Eventualitäten, die sich aus unvorhersehbaren Situationen ergeben können, um. Ich persönlich glaube nicht an Nächstenliebe.
[…]
Weil er immer wieder darauf beharrt hatte, kam ich bei unserem ersten Treffen zu ihm nach Hause. Ich will dich einfach nur in Aktion sehen, forderte ich ihn heraus. […] Seine Bedingung: ich müsse im Voraus zahlen. Sollte das Treffen zu meiner vollsten Zufriedenheit verlaufen sein, käme ihm ein kleines Trinkgeld gelegen. Einverstanden.

Der Frisierspiegel reflektiert Teile der Szene, verdächtige Täuschungen, die sich in den vielfältigen Abstufungen des weitläufigen, uns umgebenden Elends verlieren. […]
Etwas, das aussieht wie ein Körper, liegt auf dem Bett, sittsam von einer Decke bedeckt. Leicht dreht er seinen Kopf, um sicherzugehen, dass ich ihm an die vereinbarte Stelle folge, dann verschwindet sein Kopf in jenem, vom weißen Laken begrenzten, verbotenen Ort. Ich antworte ihm mit einem verschwörerischen Lächeln, listig, hitzig und mit der Zigarette in der Hand. Die Spannung, die dies in ihm hervorruft ist offensichtlich, ich sehe es ihm an der nervösen Starrheit seiner jämmerlichen nackten Beine an.

[…] Tief ziehe ich den Rauch meiner Zigarette ein. Mein Stuhl ist das Epizentrum heikler Zusammenflüsse: zuckende Körpergerüche, undefinierte Abscheu, Schluchzen, Zweifel, zähe Texturen.

Ich schließe die Augen. […] Ich kann mein eigenes Keuchen wahrnehmen, Resultat des sinnlichen Schwindels und der entweihten Moral, der ich mich ausgesetzt habe. Der Mann legt sich auf eine Seite des Bettes und zeigt mir sein dumpfes Lächeln, seinen verschmierten Mund. […] Schließlich sehe ich die Gesichtszüge des Mädchens. Und dann bemerke ich das Ausmaß dieser Monströsität. Alles, was er gesagt hatte, war gelogen. Und doch erregte mich nichts so, wie die enthüllte Wahrheit: es ist nicht seine Frau, sondern seine Tochter, die ihn um ihre Befreiung anfleht; es ist mehr als offensichtlich, dass ihr die Binden an den Handgelenken wehtun; sie schmerzen, die demütigenden Knebel. Ich hole ein weiteres Geldbündel hervor und lege es auf den Nachttisch auf der linken Seite des Bettes. Damit beschließe ich meinen Teil des teuflischen Paktes. Er fragt mich: Es hat es dir gefallen, oder? Ich bewege den Kopf voll Dankbarkeit und gehe hinaus auf die Straße,
die Nacht wartet.

Das Gefühl als Leitthema

Lena Gabbatschs Versuch, Stimmungen zu übersetzen


Übersetzen ist schwer. Weil es nicht nur ein Aneinanderreihen von Wörtern ist, sondern weil man die Wörter suchen muss, denn sie finden nicht von alleine zueinander. Weil man ihnen als Übersetzerin zu ihrem Glück verhelfen muss, sie in ihrem Wirrwarr und ihrer Kontextlosigkeit aneinanderreihen muss. Man ist der Kleber, der ihnen Zusammenhang gibt. Übersetzen ist nicht Rechnen, ist nicht Eins und Eins zusammenzählen. Übersetzen geht weit darüber hinaus.

Ich war gänzlich unerfahren, was das Übersetzen literarischer Texte angeht, weiß aber aus eigener Leseerfahrung, dass oft nicht die Inhalte der Texte, sondern die Gefühle, die beim Lesen geweckt werden in Erinnerung bleiben – das, was die Worte in einem auslösen. Ich denke, dass Worte dazu beitragen, eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Darum ging es mir hauptsächlich bei meiner Arbeit.

F.I.T.

Found In Translation ist Name und Programm der von Admira Poçi initiierten Übersetzungsreihe auf Litlog. Verfasst werden Erstübersetzungen fremdsprachiger Autoren ins Deutsche, ergänzt durch textorientierte Überlegungen zur Übersetzungstheorie und sprachlichen (Un)überwindbarkeiten. Grenzerfahrungsinteressierte melden sich über info@litlog.de

 

J. Hurtado-Pérez

Joaquín Hurtado-Pérez wurde 1961 in Monterrey im Norden Mexikos geboren. Nach seinem Pädagogik- und Lehramtsstudium begann er für Tageszeitung wie La Jornada,
El Universal und Magazine mit
unterschiedlichem thematischen Einschlag zu schreiben. Daneben engagierte er sich für die Einhaltung der Menschenrechte und kämpfte für eine politisch stabile
Öffentlichkeit, in der Minderheiten wie Trans- oder Homosexuelle Schutz finden sollten. Seit den 90ern veröffentlicht Hurtado-Pérez Kurzgeschichten. 2008 erschienen Los privilegios del monstruo und La Ruta périferica. »El Velador« entstammt seinem 2007 publizierten Buch La dama sonámbula.

 
 
Ich habe mich nach dem ersten Lesen des Textes El velador gefragt, welche Eindrücke bei mir geblieben sind, was ich aus dem Text mitnehme und diese abstrakten Eindrücke habe ich festgehalten; sie waren für mich das Leitthema meiner Übersetzung. Dabei habe ich immer versucht, den Text möglichst flüssig zu gestalten und Worte zu benutzen, die ihm seinen besonderen Charakter geben, deren Stimmung sich wie ein roter Faden durch den Text ziehen sollte.

Schwierig war dabei, die richtigen Worte in ihrem Sinnzusammenhang zu finden, denn die Wortbedeutung kann sich je nach Kontext komplett ändern. Das Wort »adusto« beispielsweise bedeutet bezogen auf eine Landschaft »rau« oder ein Haus, eine Region »finster«, bezogen auf das Klima allerdings bedeutet es »heiß«. Ich musste beim Übersetzen also immer sehr kleinschrittig und feinfühlig vorgehen, um derartige Unterschiede herauszuarbeiten. Oft fehlten mir aber diese Bezugswörter, weswegen ich versucht habe, aus dem Kontext heraus zu interpretieren und so das passende Wort zu finden.

Eine weitere Schwierigkeit ergab sich für mich daraus, das richtige Maß zwischen Textnähe und eigenem Interpretationsspielraum zu finden – wie nah darf bzw. muss ich am Originaltext bleiben? Natürlich orientiere ich mich an dem zu übersetzendem Werk, aber auch ich bin »Autorin«, denn ich wähle bestimmte Worte, Abfolgen, Anordnungen, Passagen aus und kreiere dadurch etwas Eigenes. Das »Neue« ist bei einer Übersetzung zwar weniger originär, aber letztendlich empfindet, interpretiert und schafft jeder Mensch immer etwas Eigenes, sowohl wenn er liest, aber auch wenn er schreibt, denn jeder Mensch nimmt unterschiedlich wahr und malt sich in seiner Fantasie andere Dinge aus. Dementsprechend folgte ich bei meiner Arbeit einer hermeneutischen Übersetzungstradition, die den Übersetzer als Akteur und nicht nur als beobachtenden, passiven Teil der Textübertragung begreift.1

Da mir die Freiheit gegeben wurde, den Text selbst auszusuchen, allerdings nicht mehr als eine Seite zu schreiben, ergab sich eine weitere Herausforderung: das Finden der richtigen Textpassagen. Ich wollte den Text dabei so gestalten, dass man dem Inhalt folgen kann, dieser aber durch Kürzungen nicht verwirrend oder abgehackt wirkt.
Bei mir selbst herrschte teilweise Sprachlosigkeit im Deutschen, denn wenn ich auf Spanisch las, hatte ich oft den Eindruck, ich wüsste genau was der Autor meint, aber mir fehlten einfach die deutschen Entsprechungen oder ich hatte das Gefühl, dass es auf Spanisch bereits viel treffender und vollkommener formuliert worden ist.

Abschließend kann ich sagen, dass ich mich durch die Übersetzungsarbeit sehr intensiv mit dem Text auseinander gesetzt habe. Man durchläuft eine Entwicklung mit dem Text und mit sich selbst und steht am Ende vor dem Ergebnis – ein paar Worte auf weißem Untergrund, und manch einer mag sich fragen: kann das wirklich so schwer sein?

Hier geht es zum Veranstaltungsbericht der Lesung von Joaquín Hurtado-Pérez im Juli 2011 in Göttingen.

  1. Siehe dazu den Sammelband Larisa Cercels: Übersetzung und Hermeneutik


Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 13. August 2012
 Kategorie: Misc.
 Idee: Lynn van Leewen
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Wolf Berning
 26. September 2012, 12:25 Uhr

Guten Tag,-
interesannter Artikel. Muss an MMM denken, die ja Saramago und Antunes übersetzt. Bestimmt bräuchte man des öfteren einen Muttersprachler oder eine Übersetzungsmaschine, dann spielt ja wohl auch noch eine Rolle in welcher Zeit der Roman oder Artikel geschaffen wurde. Bestimmt keine leichte Aufgabe.Und dann erst die Kritik, die oft rumhanseln, wie die Wilden, siehe die Moby Dick Übersetzungen. Da braucht man schon ein starkes Gemüt,- oder?

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